2 Chancengleichheit ist eine Illusion

Shownotes

Unser Bildungssystem hält auch im Jahr 2024 nicht, was es verspricht. Trotz mancher Anstrengungen haben sich die Chancen für Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Sozialschichten nicht angeglichen. Die Chancenungleichheit ist sogar grösser geworden, weil der Schulerfolg noch stärker als früher von der Herkunft abhängig ist. Eigentlich müssten aber Neigungen und Interessen die Ausbildungs- und Berufswahl bestimmen. Dem ist aber nicht so. Denn nach wie vor sind in der Berufsbildung nur am Rande leistungsstarke Jugendliche aus gut situierten Familien vertreten, in den Gymnasien wenig intellektuell begabte und akademisch interessierte Kinder aus benachteiligten Familien.

Buch zur Folge: Stamm, Margrit (2024). Von unten nach oben. Arbeiterkinder am Gymnasium. Erscheint bei Beltz im November 2024.

Education to Go Konzeption: Margrit Stamm & Buero GDL. Redaktion: Dominic Dillier & Margrit Stamm Layout: Dominic Dillier & Buero GDL Bild: cic Grafik: Orkan Design gmbh

Weitere Informationen: www.margritstamm.ch / www.buerogdl.ch

Kommentare (1)

Felix Schmutz, e-mail: sz42all@bluemail.ch

Die Vorstellung, dass sich die soziale Chancenungerechtigkeit erhalte oder sogar verstärke, ist eine Hypothese der soziologischen Reproduktionstheorie. Nach Gary N. Marks, dem australischen Soziologen und Politologen, zeigt sich jedoch in den westlichen Ländern seit Ende des 2. Weltkrieges eine gegenteilige Entwicklung, die eher für die Modernisierungstheorie spricht, nach der immer mehr sozioökonomisch Schwächeren der Bildungsaufstieg gelingt, was ich als ehemaliger Lehrer an der Sekundarstufe in Basel nur bestätigen kann. Nicht zuletzt ist die Ausweitung der Bildungsangebote im Sekundar- und Tertiärbereich dafür verantwortlich. Manche der vielen Migrantenkinder, die ich unterrichtete, konnten dank ihren Schulleistungen die einfachen Verhältnisse ihrer Eltern überwinden. Einer hat es sogar zum Professor für applied linguistics am University College London geschafft. Gary N. Marks verortet die Wirkung der sozioökonomischen Herkunft auf den Bildungserfolg statistisch bei dem Wert 0.2 bis 0.3. Hingegen belegt er, dass die kognitiven Fähigkeiten (Faktor g) den Bildungserfolg mit dem Faktor 0.6 bis 0.7,5 vorhersagen. Sein Buch von 2013 mit dem Titel "Education, social background and cognitive ability", erschienen im Routledge-Verlag, England, wurde bezeichnender Weise nie ins Deutsche übersetzt. "Noli tangere circulos meos" ist die Devise unserer Bildungsgelehrten. Sie zitieren zu gerne das Matthäus-Prinzip: "Wer hat, dem wird gegeben." Marks' These ist, dass die kognitiven Fähigkeiten die wichtigste Komponente für den Bildungs- und Berufserfolg darstellen. Er belegt dies mit Hunderten von Statistiken, auch zu PISA. So hat z.B. in der Schweiz der Impact des sozialen Hintergrundes zwischen PISA 2000 und 2006 abgenommen, was ich noch nirgends sonst gelesen habe. Er zeigt auch auf, dass die These Bourdieus vom Kulturkapital, wonach Intelligenz bloss eine Funktion des sozialen Status der Eltern sei, der inzwischen hundertjährigen Forschung zum IQ widerspreche. Familienstudien, Zwillings- und Geschwisterstudien, Langzeitstudien sprechen deutlich gegen Bourdieu, dafür sehr wohl für die Vererbung und die Konstanz des IQ. Ferner zeigt er auf, wie Statistiken durch Kombination von Faktoren oder durch Herausrechnen von Faktoren manipuliert werden, bis die sozialen Faktoren ein viel grösseres Gewicht (bis zu viermal mehr!) erhalten, als sie korrekterweise haben dürften.

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